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Der VfL Bochum als Wellnessoase

Eine volle Ostkurve mit jubelnden und feiernden Fans gab es in 2015 wieder häufiger zu erleben.

Blogger wagen einen Jahresrückblick 2015
Während sich der VfL Bochum auf die Rückrunde vorbereitet, blicken drei VfL-Blogger auf das Jahr 2015 zurück und wagen nach zwölf Monaten Gertjan Verbeek ein Zwischenfazit. Stephan Kottkamp (Castroper Straße 145), Tom MacGregor (Commando Bochum) und Tobias Wagner (Blau-weiße Taktikecke) machen sich Gedanken darüber, was sich beim VfL getan hat, was geblieben ist und wohin die Reise gehen wird.

Stephan Kottkamp (Castroper Straße 145)
In den vergangenen Jahren hatte ich meist den Eindruck, dass bei meinem Lieblingsverein überwiegend falsche Entscheidung treffen getroffen wurden. Im soeben zu Ende gegangenen Jahr 2015 änderte sich dieser Eindruck sukzessive. Es kam und kommt mir plötzlich so vor, als würden von Verbeek, Hochstätter & Co. die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden.

Es fing schon damit an, dass Christian Hochstätter als Neururer-Nachfolger nicht einen der üblichen Verdächtigen holte, sondern mit Gertjan Verbeek für eine große Überraschung sorgte. Die Verpflichtung des bis dahin in Deutschland wenig bekannten und wenig erfolgreichen Niederländers darf sicher als Coup bezeichnet werden. Binnen eines Jahres entwickelte Verbeek den VfL Bochum von der Schießbude der Liga zu einer defensivstarken Mannschaft. Lediglich 18 Gegentore in den 19 Spielen bis zur Winterpause sind ein eindrucksvoller Beleg dafür.

Die Kaderentwicklung unter Gertjan Verbeek ist ebenfalls als positiv zu beurteilen. Bis auf Danny Latza, der sich dem Bundesligisten Mainz 05 anschloss, und Michael Gregoritsch, den es zum Hamburger SV zog, konnten in der Sommerpause alle Leistungsträger gehalten werden. Der Transfer von Franzl spülte dem VfL zudem ordentlich Geld in die Kasse. Mit Janik Haberer und Tim Hoogland wurden zwei Spieler geholt, die das Niveau nochmal anheben konnten und nur wenig Ablöse bzw. Leihgebühr gekostet haben. Mit Peniel Mlapa konnte in der Offensive nochmal an Qualität hinzugewonnen werden; Manuel Riemann stachelte zunächst Andi Luthe zu Höchstleistungen an und ist nun sogar zum Stammkeeper aufgestiegen.

Die positive Entwicklung lässt sich an Zahlen schwer verdeutlichen. Tabellenplatz und Punkteausbeute sind Indikatoren, die nur eingeschränkt über den Zustand der Mannschaft und des Vereins Auskunft geben können. Anders verhält es sich mit der Zahl der Zuschauer, die die Heimspiele besuchen. Daran lässt sich wunderbar ablesen, dass die Zufriedenheit mit den Darbietungen des VfL gestiegen ist.

Nach einem Jahr Gertjan Verbeek lässt sich attestieren, dass sich der Verein auf vielen Ebenen positiv entwickelt hat. Die Umstrukturierungen im Nachwuchsbereich lassen optimistisch in die Zukunft schauen. Die A-Jugend kämpft mit dem BVB und S04 um die Spitze der Bundesliga und hat mehrere Talente in ihren Reihen, die bei den Profis anklopfen. Ob die Abmeldung der U23 eine richtige Entscheidung war, lässt sich freilich noch nicht beurteilen.

Das Medieninteresse war für Bochumer Verhältnisse riesig als Gertjan Verbeek kurz vor Weihnachten 2014 vorgestellt wurde.

Das Medieninteresse war für Bochumer Verhältnisse riesig als Gertjan Verbeek kurz vor Weihnachten 2014 vorgestellt wurde.

Tom MacGregor (Commando Bochum)
Wenn ich auf das Kalenderjahr 2015 zurückblicke, sehe ich für mich persönlich ein tolles Jahr. Das Blöde ist, das ist wirklich schrecklich subjektiv: Das Gleiche, ein tolles Jahr, würde ich gerne auch über das VfL Bochum-Jahr 2015 sagen können. War es das? Man kann sagen, es ist kein Jahr zum „inne Tonne kloppen“ gewesen wie die Jahre 2012 bis 2014. Im Vergleich zum permanenten Abstiegskampf dieser drei dunklen Jahre – mit Trainern wie Funkel, Bergmann oder Neitzel -, was uns zum zweiten Mal Peter Neururer (und dann ganz kurz Funny) bescherte, ist das erste komplette Jahr mit Verbeek eine kleine Wellnessoase gewesen.

Dass der knorrige Holländer zusammen mit Hochstätter einen besseren Fußball anbietet als seine fünf Vorgänger, sehen alle außer dem Drolligen und Peter N.-Jünger. Der Ball wird gepflegter gespielt und besessen, die Spieler entwickelt, die Heimspiele werden wieder erfolgreich bestritten, alleine es fehlt die Konstanz. Sechster Platz ist okay, aber es schien mehr drin gewesen zu sein.

Hatte Verbeek in der Rückrunde 2014/15 noch Probleme in der Defensive, so schienen sie zu Saisonbeginn wie weggeblasen. Fünf Siege, die zweite Liga staunte über die spielstarken Bochumer, doch Verbeek ging gleichzeitig den Weg der konsequenten Pressezankerei weiter und lieferte sich einen Privatkrieg mit einem Boulevardjournalisten. Peter N. spielte jüngst Flachpass mit der ihm nahestehenden Zeitung und bescheinigte dem VfL eine schlechte Öffentlichkeitsdarstellung sowie „Aufstiegspotential in einer von ihm zusammengestellten Mannschaft“. Typisch Peter, der Typ lernt nie. Dagegen ist der Zauberer von Friesland richtig flexibel.

Tatsache ist eine „Ergebniskrise“ im Herbst, die die Fans nicht vom Trainer entfremdete wie einst bei Koller. Die Fanszene war zunächst euphorisch, die Zuschauer strömten, keine Konflikte mehr wie vor einem Jahr in der Ostkurve, die Sache schien ein gutes Ende zu nehmen. Das 0:0 in Duisburg wiederum zeigte am Ende, was fehlt, wenn Bochum nicht so richtig Bock hat: Tore. Aber auch in der Teroddekrise blieben die Fans ruhig. Niederlagen wie das 1:5 auf Pauli, das 2:3 beim FSV oder das 0:3 beim KSC warfen die Fans nicht aus der Bahn, Bochum blieb ein „Schmelztigel der Ruhe“, weil die Zuschauer den Vereinskurs akzeptieren und mittragen.

Nein, ich habe nicht nur die Siege in Freiburg und Fürth genossen, ich habe 2015 wieder jeden Sieg geliebt und es gab wieder welche, daher stehe ich zum Trainer und Sportdirektor sowie zum Konsolidierungskurs des Vereins. Mir fehlten die Eier gegen RBL und FCK (Liga), dazu hatte die Mannschaft am Ende des Jahres zu viele kleine Durchhänger um das Jahr „toll“ zu nennen, aber es war sicher „okay bis gut“, ganz ohne Currywurst und Fiege sowie Erinnerungsromantik, den Fußball konnte man sich anschauen. Wir werden 2016 nicht nur bei den Tests gegen VfB, Lev oder BMG sehen, wie wir uns gegen SCF, Bayern oder den Club bestehen können. Was 2015 wert war, entscheidet sich früh in diesem Jahr. Aber der Weg ist der Richtige.

Gertjan Verbeek weiß genau, was er von seinen Spielern will.

Gertjan Verbeek weiß genau, was er von seinen Spielern will.

Tobias Wagner (Blau-weiße Taktikecke)
Mit dem Beginn des Jahres 2015 startete auch die Amtszeit von Gertjan Verbeek. Kurz vor dem Weihnachtsfest 2014 beschenkte sich der VfL selbst mit dem für attraktiven Fußball aber schwierigen Charakter bekannten Fußballlehrer. Dieser versprach sofort, dass er seinen dominanten Fußball auch in der zweiten Liga durchziehen möchte. Um den Kader zur Umsetzung dieses Versprechens vorzubereiten, wurde im Winter bis zur Maximalbelastung – und wohl auch häufig darüber – trainiert. Bereits im ersten Saisonspiel gegen den 1. FC Union Berlin konnte man die Spielanlage des Niederländers deutlich erkennen.

Auch wenn die Aussagen und das Fußballverständnis von Peter Neururer und Gertjan Verbeek vermeintlich gegensätzlich klingen, so baute der Niederländer doch auf einige Aspekte, die bereits unter Neururer zu sehen waren. Auch unter Neururer gab es bereits hohes Pressing und Gegenpressing sowie Tempokombination zu beobachten. Die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Außenverteidiger und Sechser wurden beibehalten. Die Mannorientierung im Defensivverhalten wurde sogar verstärkt.

Den Unterschied machten wie so oft die Details. Der VfL versuchte nun auch gegen vermeintlich starke Gegner, das Spiel aktiv zu gestalten, anstatt auf tiefes Verteidigen, lange Bälle und schnelle Konter zu hoffen. Die Laufwege beim Anlaufen des Gegners und bei der Vorbereitung von Angriffen wurden verfeinert und kollektiver gestaltet. Unter aggressiverem Pressing und nach Kontern war der VfL jedoch noch immer anfällig. Wegen zahlreicher Verletzter konnte sich keine Stammformation einspielen.

Verbeek musste die Asymmetrien seines Systems immer wieder für die verschiedenen Spielertypen nachjustieren. Anders als Neururer hielt er dabei jedoch an seiner Grundformation fest und verfiel nicht ins Experimentieren. Somit konnte der Punkteschnitt sogar leicht gesteigert werden (von 1,21 auf 1,27).

In der Sommerpause verließen den VfL Bochum mit Danny Latza, Michael Gregoritsch und Stanislav Šesták drei Stammkräfte der vergangenen Saison. Außerdem litt Selim Gündüz seit April 2015 unter immer wiederkehrenden Leistenproblemen. Diese Spieler waren wichtige Eckpfeiler des damaligen Konzepts, das auf Latzas Verlagerungen aus Engen und das Tempo von Gündüz nach diesen Verlagerungen setzte. Gregoritsch besaß ein herausragendes Timing beim Einrücken, welches wichtig für die Auslösung der Halbraumkombinationen nach Diagonalpässen aus der Abwehrreihe war.

Mit Tim Hoogland (für Latza), Peniel Mlapa, Janik Haberer und Arvydas Novikovas (für Gregoritsch und Šesták) kam zwar positioneller Ersatz, der jedoch in vielen Aspekten andere Qualitäten einbringt. Der GoalImpact, eine der besten Metriken zur Bewertung des Anteils einzelner Spieler an der Teamleistung (gemessen in der erzielten Tordifferenz), bewertete den VfL zu Saisonbeginn sogar als Abstiegskandidat.

Diesen Unkenrufen zum Trotz, konnte Verbeek in der Sommervorbereitung sein System erneut feinjustieren. Hatte man im ersten Spiel gegen Paderborn noch Glück, so konnte der VfL die folgenden Spiele mit der gewünschten Dominanz gestalten. Nur gegen Fortuna Düsseldorf, den FSV Frankfurt und im letzten Saisonspiel gegen den MSV Duisburg hatten die Blau-Weißen weniger Torschüsse als der Gegner. Bei Betrachtung aussichtsreicher Schüsse innerhalb des 16ers unterlag der VfL nach dem ersten Saisonspiel nur gegen RB Leipzig.

Ähnliches gilt für den Ballbesitz, bei dem nur Fortuna Düsseldorf, die im Rewirpower-Stadion ihr wohl bestes Spiel machten, Verbeeks Mannen überlegen war. Die Krise im Herbst war also hinsichtlich der statistischen Kennzahlen nicht so schlimm wie gefühlt. Es zeigte sich in dieser Phase jedoch wie schwierig es ist, ein dominantes System zu spielen, wenn viele Spieler verunsichert sind. Nach Ballverlusten wird nicht mehr ganz so aggressiv attackiert, aus Angst einen Konter zu kassieren. Stattdessen wird der Konter dadurch erst ermöglicht. Im Positionsspiel werden einzelne Bewegungen aus fehlender Überzeugung nicht mehr mitgemacht, so dass die einstudierten, kollektiven Bewegungen die Verbindungen stören, anstatt dynamisch neue zu schaffen. Erneut verfiel Verbeek nicht in Panik, sondern fand die richtigen Worte und Wechsel und schaffte es somit, die Mannschaft wieder in die Spur zu bringen – das Spiel gegen Duisburg zum Jahresende mal ausgenommen.

Viele Spieler, u. a. Perthel, Celozzi, Bastians, Haberer, Bulut, Terrazzino, Mlapa und Terrodde, haben vom Training und den Detailkorrekturen des Niederländers profitiert. Mittlerweile steht der VfL beim GoalImpact auf Platz 6, was auch dem aktuellen Tabellenplatz entspricht. Talente wie Gökhan Gül und Görkem Saglam sowie die konsequente Professionalisierung der Jugendabteilung mit einem klaren Schwerpunkt auf Verbeeks favorisierten dominanten Spielstil machen Hoffnung für die Zukunft. Wir können nur hoffen, dass der Niederländer das Trainingslager mit einer Vertragsverlängerung veredelt.

Weitere Kurzanalysen einzelner Spiele findet Ihr auf meiner Facebook-Seite

Admin

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