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„Wir waren zwar die graue Maus, aber wir waren unabsteigbar“

Legat_vor_Stadion

Thorsten Legat besuchte sein Zuhause und sprach über vergangene Zeiten

„Das ist mein Zuhause“, strahlt Thorsten Legat als wir die Treppen zu Block K hinaufsteigen. Legat lässt seinen Blick durch das Stadion schweifen, er atmet tief ein. Selbst 24 Jahre nachdem er vom VfL Bochum zu Werder Bremen wechselte – wechseln musste – ist er VfLer durch und durch. In Bremen gewann er drei Titel  und wäre beinahe Nationalspieler geworden. Den Grundstein für seine lange und erfolgreiche Karriere legte seine Ausbildung beim VfL Bochum.

Neben seinen sportlichen Erfolgen sorgte Thorsten Legat auch mit Aktionen abseits des Rasens immer wieder für Schlagzeilen. In der Neujahrsnacht 1997 prügelte er sich in Bochum mit einem Nachbarn; in Stuttgart beleidigte er seinen Mitspieler Pablo Thiam; und 2007 drohte er Jugendlichen in Notwehr mit einem Samuraischwert. Diese Geschichten sind bekannt.

Eine Geschichte ganz anderen Kalibers, vielleicht die Geschichte seines Lebens, kannten nur sehr wenige Leute. Bis vor einem Jahr ahnte niemand, welches Schicksal sich hinter der knüppelharten Fassade des gebürtigen Bochumers verbarg. In seinem Buch „Wenn das Leben foul spielt“ berichtet er über seine Kindheit, die durch Gewalt und sexuellen Missbrauch durch seinen Vater geprägt war. Da geriet das Bild des einfältigen Bodybuilders, als Fußballer geachtet und mit Trophäen reichlich dekoriert, ins Wanken und veränderte sich.

Thorsten Legat fühlt sich auch 24 Jahre nach seinem letzten Spiel für den VfL im Ruhrstadion noch immer heimisch.

Thorsten Legat fühlt sich auch 24 Jahre nach seinem letzten Spiel für den VfL im Ruhrstadion noch immer heimisch.

Was sich bei Thorsten Legat nie verändert hat, ist seine Liebe zum VfL Bochum. Im Knappschaftskrankenhaus Langendreer geboren, wuchs Legat in Werne auf und spielte  bei Vorwärts 09. In der B-Jugend wechselte zum VfL Bochum. Dort begann seine lange und erfolgreiche Karriere als Profifußballer. Ganz entscheidende Bedeutung für Legats Entwicklung hatte Hermann Gerland.

„Er war mein Trainer sowohl im Junioren- als auch im Seniorenbereich und hat mich zu den Profis hochgezogen.“ Gerland prägte den Nachwuchskicker und brachte ihn dahin, wo er schon als Kind hinwollte: in den Profifußball. Am 5. Spieltag der Saison 1986/87 kam er zu seinem Debüt in der Bundesliga. Beim 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach wechselte Gerland den Linksfuß für den heutigen HSV-Manager Peter Knäbel ein.

Hermann Gerland: Mentor und Vaterersatz

Hermann Gerland war für Thorsten Legat aber viel mehr als ein Trainer, er war sein Mentor und sein Vaterersatz. Er schenkte ihm Sportkleidung und besuchte die Familie oft Zuhause. Noch heute glänzen Legats Augen, wenn er vom Tiger spricht: „Lob von Hermann Gerland hat mich immer bestärkt und war etwas ganz Besonderes.“

Unter Hermann Gerland erlebte Legat auch den ersten Höhepunkt seiner Karriere. Im Mai 1988 stand er mit dem VfL im Pokalfinale in Berlin. Gegen die Frankfurter Eintracht setzte es eine unglückliche 0:1-Niederlage. Ein regulärer Treffer von Uwe Leifeld wurde nicht anerkannt und Frankfurt kam durch einen unberechtigten Freistoß zum Tor durch Lajos Detari. Trotzdem oder gerade deswegen wurde die Mannschaft am Tag drauf von 10.000 Bochumern am Rathaus begeistert empfangen.

Wenn Thorsten Legat von Hermann Gerland spricht, leuchten seine Augen: "Er war für mich mehr als ein Trainer."

Wenn Thorsten Legat von Hermann Gerland spricht, leuchten seine Augen: „Er war für mich mehr als ein Trainer.“

Nach 107 Bundesligaspielen und neun Toren für den VfL Bochum wechselte Thorsten Legat 1991 von der Ruhr an die Weser. Im Restaurant „Uhle“ am Dr.-Ruer-Platz wurde ihm von Ata Lameck, damals Co-Trainer von Reinhard Saftig, und VfL-Justitiar Günther Bernhörster mitgeteilt, dass sich der VfL in massiven finanziellen Nöten befinde und gezwungen sei, seinen Leistungsträger zu verkaufen. Legat wehrte sich zunächst gegen diesen Transfer, willigte nach wochenlangem Hin und Her jedoch ein und wechselte im Paket mit Stürmer Stefan Kohn zum SV Werder Bremen.

An der Weser erlebte er seine erfolgreichste Zeit. In drei Jahren holte er drei Titel. Mit Werder gewann er die Meisterschaft, den DFB-Pokal und den Europapokal der Pokalsieger. Doch über den Gewinn der Schale konnte er sich kaum freuen. Werder Bremen war als Deutscher Meister zu Gast im „Aktuellen Sportstudio“, das an diesem Abend von Michael Steinbrecher moderiert wurde. Er war es, der Thorsten Legat die Nachricht vom Abstieg des VfL in die 2. Liga überbrachte. Fassungslosigkeit und Tränen statt Jubel und Freude.

Otto Rehhagel verhinderte Legats WM-Teilnahme

Fast wäre Legat in seiner Bremer Zeit zum Nationalspieler aufgestiegen. Eines Tages rief ihn Bundestrainer Berti Vogts an. Er werde beim nächsten Spiel der Bremer im Stadion  sein. Wenn Legat gut spiele, nehme er ihn mit zur WM in den USA. Doch dazu kam es nicht. Werder-Trainer Otto Rehhagel setzte Legat auf die Bank. Bis heute weiß er nicht, wieso Rehhagel das tat. „Das war ein Alptraum“, erinnert er sich noch heute mit Wut im Bauch an diesen schwarzen Moment seiner Karriere. „Nationalspieler zu sein, war ein großer Traum von mir, von Kindesbeinen an.“ Er sollte sich nie erfüllen.

Das Kapitel Bremen war mit diesem Ereignis beendet, es folgte eine Saison bei Eintracht Frankfurt, die er im Rückblick als verschenktes Jahr bezeichnet. Als Nachfolger für Uwe Beim geholt und auf der falschen Position eingesetzt, konnte er nie die Erwartungen erfüllen, die an ihn gestellt wurden. Deshalb zog es ihn nur ein Jahr später weiter Richtung Süden.

Thorsten Legat erzählte sehr offen von den Höhen und Tiefen seiner Karriere. Im Hintergrund wird Uwe Leifeld auf Händen getragen.

Thorsten Legat erzählte sehr offen von den Höhen und Tiefen seiner Karriere. Im Hintergrund wird Uwe Leifeld auf Händen getragen.

Beim VfB Stuttgart konnte er an seine erfolgreiche Bremer Zeit anknüpfen und holte mit den Schwaben unter Trainer Jogi Löw 1997 den DFB-Pokal. Nach zwei schweren Verletzungen wurde er vom neuen VfB-Trainer Ralf Rangnick nicht mehr berücksichtigt. Wegen eines rassistischen Ausfalls gegenüber Mitspieler Pablo Thiam wurde ihm Ende 1999 fristlos gekündigt. Anfang des Jahres 2000 heuerte Thorsten Legat für zwei Jahre beim Revierrivalen  Schalke 04 an. Wie in Stuttgart hatte es der Linksfuß auch dort schwer, sich einen Stammplatz zu erkämpfen. Im Jahr 2001 musste er seine Karriere als Sportinvalide beenden.

Rückblickend ist Legat auf eine Sache sehr stolz: „Mir konnte nie jemand nachsagen, dass ich nicht alles für die Mannschaft getan habe, egal wo ich gespielt habe!“ Der beinharte Fußballer ist in seiner langen Karriere übrigens nur ein einziges Mal vom Platz geflogen. „Und das war unberechtigt“, erinnert sich Thorsten Legat noch gut an die Situation mit dem damaligen Hamburger Nico Kovac. Heute kann er darüber lachen.

„Beim VfL fehlt mir heutzutage die Familie“

Während seiner vielen Stationen im Profibereich hat er nie den Kontakt zum VfL verloren, spielte bis vor einigen Jahren in der Traditionsmannschaft. Noch heute trifft er sich mit alten Weggefährten, wie Ata Lameck, Lothar Woelk, Michael Rzehaczek oder Thomas Kempe. „Wir verlieren uns nicht aus den Augen und sehen uns mindestens ein Mal im Jahr. Wir sind wie eine Familie und halten dem VfL die Treue.“

"Für mich bleibt es immer das Ruhrstadion!"

„Für mich bleibt es immer das Ruhrstadion!“

Mit Bedauern erzählt Legat, dass sich beim VfL viele Strukturen geändert haben und es die Familie wie früher nicht mehr gäbe. Er vermisst beim VfL bestimmt Personen und das Zusammengehörigkeitsgefühl, das den VfL zu seiner Zeit ausgemacht habe. Ottokar Wüst, Werner Altegoer und die beiden Christas (Ternow und Jevers) würden dem Verein fehlen. „Der VfL ist auch heute noch eine der besten Ausbildungsstätten in Deutschland, aber die Familie ist nicht mehr da!“ Trotzdem sagt Thorsten Legat mit Überzeugung: „Ich bin Bochumer und der VfL ist meine Liebe!“

Nach seiner aktiven Laufbahn hat Thorsten Legat als Trainer gearbeitet. Vom Jugend- und Amateurbereich von Werder Bremen über diverse Amateurvereine zog es ihn 2013 zum 1. FC Wülfrath, seiner bislang letzten Station als Trainer.

Mittlerweile wohnt Thorsten Legat im Bergischen Land, zwischen Wuppertal und Köln. Doch weder die bergische noch die rheinische Metropole ziehen den 46-jährigen an: „Wenn ich mit meiner Frau Essen gehen möchte, fahre ich nach Bochum“, lächelt der Ex-Profi verschmitzt. Denn in einer Sache ist sich Thorsten Legat absolut sicher: „In Bochum liegt mein Herz.“

(Fotos: Frank Hommes)

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