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Bochums erster Brasilianer kam vom Niederrhein

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Thomas Kempe ist dem VfL bis heute verbunden
Es sind schon satte 22 Jahre vergangen, seitdem Thomas Kempe zuletzt auf dem Rasen des Ruhrstadions kickte. Vergessen hat man den Mann mit der schwarzen Matte und der brasilianischen Spielweise bis heute nicht. Castroper Straße 145 traf Thomas Kempe am Ruhrstadion und sprach mit ihm über seine Zeit beim VfL, sein Leben nach dem Fußball und über seine Söhne.
 

Als Thomas Kempe im ersten Vorbereitungsspiel auf die Zweitliga-Saison 1993/94 von Dr. Joachim Schubert und Physio Madjid Glatz vom Platz geleitet werden musste, ahnte noch niemand, dass er aufgrund dieser Verletzung die komplette Aufstiegssaison unter Trainer Jürgen Geldorf verpassen und nie wieder zurückkehren würde. Thomas Kempes Geduld wurde zwölf Monate lang auf eine harte Probe gestellt. Er quälte sich, schwankte zwischen Hoffen und Bangen und musste sich doch irgendwann eingestehen, dass es nicht mehr ging: „Mir war klar, dass ich es mit 34 Jahren sehr schwer haben würde, mich nochmal heranzukämpfen.“ Und so stellte er nach langen Gesprächen mit seiner Frau den Antrag auf Sportinvalidität. Nach 391 Bundesligaspielen und 42 Toren war das Kapitel Profifußball beendet.

Anfang der 90er Jahre war Thomas Kempe einer der besten Liberos in der Bundesliga.

Anfang der 90er Jahre war Thomas Kempe einer der besten Liberos in der Bundesliga.

Zu diesem Zeitpunkt stand Thomas Kempe seit neun Jahren beim VfL Bochum unter Vertrag, hatte 234 Spiele absolviert und dabei 16 Mal getroffen. Der gebürtige Voerder war 1985 vom VfB Stuttgart ins Ruhrgebiet gewechselt, weil er seiner Heimat wieder näher sein wollte. Und Bochum sollte ihm tatsächlich zu einer zweiten Heimat werden. Zwar hat Thomas Kempe nie in Bochum gewohnt, dem VfL und der Stadt ist er aber bis heute eng verbunden.
 
Von der Wedau an den Neckar
Thomas Kempe begann seine Profikarriere beim MSV Duisburg. Unter Trainer Heinz Höher debütierte er am 1. Spieltag der Saison 1979/80 beim 1:1 gegen den VfB Stuttgart – und erzielte dabei direkt ein Tor. Nachdem sich der MSV zwei Jahre lang erfolgreich gegen den Abstieg gewehrt hatte, stiegen die Meidericher 1982 sang- und klanglos als Tabellenletzter aus der Bundesliga ab. Den 22-jährigen Kempe, der zu jener Zeit als einer der talentiertesten deutschen Fußballer galt und dem eine große Zukunft vorausgesagt wurde, zog es daraufhin von der Wedau an den Neckar.
 
Direkt in der ersten Saison im Schwabenland erreichte Thomas Kempe mit dem VfB Stuttgart den dritten Platz und qualifizierte sich für den UEFA-Cup. Nur ein Jahr später feierte er mit dem VfB den größten Erfolg seiner Laufbahn. Im bis heute knappsten Saisonfinale der Bundesligageschichte wurden die Schwaben unter Trainer Helmut Benthaus Deutscher Meister und ließen dabei mit dem HSV und M’Gladbach zwei Traditionsvereine punktgleich hinter sich. Aufgrund einer schweren Verletzung kam Kempe in der Meistersaison lediglich auf 13 Einsätze, in denen er ein Tor erzielen konnte. Zu seinen Mannschaftskameraden zählten u. a. Guido Buchwald, Karl Allgöwer, die Förster-Brüder, und Asgeir Sigurvinsson.
 
In der folgenden Saison rutschte das Team trotz der 15 Tore eines 21-jährigen Blondschopfs mit dem Namen Jürgen Klinsmann bis auf Tabellenplatz 10 ab und schied im Europapokal der Landesmeister bereits in der 1. Runde aus. Am Ende der Saison standen die Zeichen auf Abschied. Thomas Kempe wollte unbedingt zurück in die Heimat. Dafür nahm er auch einige Nachteile in Kauf: „Ich habe beim VfL auf viel Geld verzichtet.“ So wurde der VfL nach dem MSV Duisburg und dem VfB Stuttgart die dritte und letzte Station in Kempes Profikarriere.

Thomas Kempe inmitten hoffnungsfroher Nachwuchskicker. Gerne möchte er kommende VfL-Profis entdecken.

Thomas Kempe inmitten hoffnungsfroher Nachwuchskicker. Gerne möchte er kommende VfL-Profis entdecken.

Feiner Techniker trifft auf Malocher

Mit einer Ablösesumme von 600.000 DM war Thomas Kempe bis dahin der teuerste Spieler der Vereinsgeschichte. Auch deshalb war seine Anfangszeit beim VfL nicht einfach. Trainer Rolf Schafstall ließ Kempe immer wieder wissen, dass er nun beim VfL und nicht mehr in Stuttgart sei. In Bochum wehe ein anderer Wind als im beschaulichen Ländle. In der Tat war es beim VfL noch die Zeit, in der überwiegend malocht und gepöhlt wurde. Thomas Kempe bestach aber durch seine ausgefeilte Technik, sein gutes Stellungsspiel und seine außergewöhnliche Übersicht.
 
„Ich wollte immer alles spielerisch lösen und den Ball nicht einfach auf die Tribüne schlagen“, erinnert er sich an sein Alleinstellungsmerkmal beim VfL. Viele Jahre bevor in Bochum die feine Technik in Person von Thomas Stickroth, Dariusz Wosz oder Zvjezdan Misimovic salonfähig wurde, hielt Thomas Kempe die filigrane Fahne in die Höhe und war sozusagen das technische High End-Produkt des VfL bis in die 90er Jahre. Bei aller Attraktivität beschwor er mit seiner Risikoliebe aber auch so manche brenzlige Situation herauf, was ihm bei den Fans den liebevollen Spitznamen Bruder Leichtfuß einbrachte.
 
Das vielleicht wichtigste Spiel in seiner Bochumer Zeit musste der langjährige Kapitän von der Tribüne aus verfolgen. Im Berliner Olympiastadion stand der VfL gegen Eintracht Frankfurt im Finale um den DFB-Pokal – ohne Thomas Kempe. Im Halbfinale gegen den HSV hatte er die 2. Gelbe Karte gesehen und war damit im Finale gesperrt. Kempe blickt mit ein wenig Wehmut zurück: „Eigentlich hätten wir ja gewonnen“, spielt er auf den Führungstreffer von Uwe Leifeld an, der von Schiedsrichter Heitmann wegen Abseits nicht gegeben wurde – zu Unrecht, wie die Fernsehbilder eindeutig belegten. Zudem war der Freistoß, den der ungarische Superstar Lajos Detari zum Sieg der Eintracht verwandelte, unberechtigt.
 
Sein letztes Pflichtspiel bestritt Thomas Kempe im Juni 1993. Es war der 34. Spieltag und der VfL war zum Siegen verdammt, um noch eine theoretische Chance auf den Klassenerhalt zu haben. Beim 3:1-Sieg gegen den Lokalrivalen aus Wattenscheid (Tore: Wegmann, Wosz und Aden) tat der VfL alles, um den ersten Abstieg aus der Bundesliga zu verhindern. Durch den gleichzeitigen Sieg des 1. FC Nürnberg gegen Saarbrücken retteten sich jedoch die Franken in letzter Sekunde und der VfL stieg ab. Kempes Erinnerungen an den folgenden Tag sind schmerzhaft: „Als ich am Sonntag aufwachte, hatte ich einen dicken Kopp“, blickt der Ex-Profi auf den Tag zurück, an dem die Unabsteigbaren ihren Nimbus verloren und abstiegen.
 
Bochum und der VfL waren da für den Mann aus Voerde aber längst eine zweite Heimat geworden. Noch heute besucht er gelegentlich die Heimspiele des VfL und trifft sich dabei mit ehemaligen Weggefährten wie Lothar Woelk oder Michael Rzehaczek. Außerdem spielt er in der Traditionsmannschaft und reist ein Mal pro Jahr mit Thorsten Legat & Co. nach Formentera.

Als Profi war Thomas Kempe für die filigrane Note zuständig, heute muss er auch mal Schuhe zubinden.

Als Profi war Thomas Kempe für die filigrane Note zuständig, heute muss er auch mal Schuhe zubinden.

Traum von der Nationalmannschaft erfüllte sich nicht
Thomas Kempe bestritt elf Länderspiele für die U21 und erzielte dabei ein Tor (beim 4:0-Sieg gegen Österreich in Kiel). Trotz seiner konstant sehr guten Leistungen in der Bundesliga und trotz mehrerer Berufungen hat Thomas Kempe nie für die A-Nationalmannschaft gespielt. Vor der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien stand der gebürtige Niederrheiner im 40er-Kader von Bundestrainer Jupp Derwall. Doch kurz vor dem Turnier verletzte er sich und musste sich die WM am heimischen Fernseher anschauen. Und auch 1990 klopfte der VfL-Akteur an die Tür zur Nationalmannschaft. Zu jener Zeit galt er als bester Libero in der Bundesliga. Teamchef Franz Beckenbauer beklagte jedoch Kempes fehlende internationale Erfahrung und nahm deshalb den Kölner Paul Steiner mit über den Brenner.

Thomas Kempe war immer ein Spieler, der kein Blatt vor den Mund genommen hat. Das hat ihm wohl in der einen oder anderen Situation geschadet. Das weiß er rückblickend und gibt zu: „Ich hätte auch mal die Schnauze halten sollen.“ Doch gerade diese Direktheit war mit ein Grund für seine Beliebtheit, die bis heute ungebrochen ist. „Wenn ich durch die Stadt gehe, kommen Leute auf mich zu und erinnern sich an mich“, staunt er über das Gedächtnis der VfL-Fans und freut sich darüber.
 
Nach seiner aktiven Laufbahn arbeitete Thomas Kempe als Trainer. Er betreute u. a. den Dinslakener Bezirksligisten VfB Lohberg. Im Sommer 2006 kam er durch die Vermittlung eines Bekannten nach Panama. Dort trainierte er für drei Monate den Hauptstadtclub FC Tauro. „Tauro ist das Bayern München von Panama. Die brauchten mich gar nicht“, erklärt er die kurze Verweildauer in Mittelamerika. Zudem arbeitete er zehn Jahre lang als Berater und betreute dabei u. a. seine Söhne.

Seine schwarze Matte ist weg, die Verbundenheit mit dem VfL ist geblieben. Thomas Kempe kommt immer wieder gerne zurück an seine alte Wirkungsstätte.

Seine schwarze Matte ist weg, die Verbundenheit mit dem VfL ist geblieben. Thomas Kempe kommt immer wieder gerne zurück an seine alte Wirkungsstätte.

Papa Thomas‘ Stolz sind seine kickenden Söhne

Vor drei Jahren wäre es fast soweit gewesen, dass wieder ein Kempe im VfL-Trikot gespielt hätte. Es gab von Seiten des VfL Interesse an der Verpflichtung von Tobias Kempe. Die Gespräche mit Jens Todt verliefen vielversprechend, scheiterten aber schließlich an der Ablösesumme. Tobias Kempe wechselte dann von Erzgebirge Aue zum SC Paderborn. Über den Umweg Dynamo Dresden landete Kempes Filius schließlich bei Darmstadt 98. Mit den Lilien sorgt der 26-jährige Mittelfeldspieler inzwischen in der Bundesliga für Furore und wehrt sich bislang sehr erfolgreich gegen den von allen Experten prognostizierten Abstieg aus der Bundesliga.
 
Auch Tobias‘ älterer Bruder Dennis wäre beinahe in der Bundesliga gelandet. Seit 2011 steht er beim Karlsruher SC unter Vertrag und verpasste im Juni mit den Badenern nur knapp den Aufstieg. Man merkt Thomas Kempe an, dass er sehr stolz auf seine Söhne ist und darauf, dass sie offensichtlich seine Fußballgene geerbt haben. Auch Kempes jüngster Sohn Fabrice ist mit seinen zehn Jahren bereits vom Fußballvirus infiziert.

Vom Fußball kann der inzwischen 55-jährige bis heute nicht lassen. Zusammen mit lizenzierten Trainern, ehemaligen Fußballprofis und VfL-Legenden, u. a. Christian Schreier, Axel Sundermann und Ata Lameck, trainiert er Kinder zwischen 6 und 14 Jahren in der VfL-Fußballschule und hofft darauf, ein Talent zu finden, wie er es einst war. Dem VfL würde ein Thomas Kempe auch heute noch gut zu Gesicht stehen.

Admin

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