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Blau-Weiße Heimat mitten in der Stadt

Antexter Anne Castroper

Henry Wahligs Hommage an das schönste Stadion der Welt

Wir alle haben an der Castroper Straße 145 unvergessliche Momente erlebt. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt war das gesamte Spektrum an Emotionen im Angebot. Im Jahr 2011 – 100 Jahre nach dem ersten Fußballspiel an der Castroper Straße – hat der Sporthistoriker Henry Wahlig die Geschichte dieser Spielstätte recherchiert und aufgeschrieben. Von der langen und wechselvollen Historie des Fußballplatzes berichtet er in seinem Buch “Anne Castroper – Ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum”. Mit diesem Werk gelingt ihm ein Parforceritt durch die Geschichte des Fußballs an der Castroper Straße, der beim Leser nostalgische Gefühle weckt und das blau-weiße Herz höher schlagen lässt.

Henry Wahlig ist nicht nur Historiker, sondern auch VfL-Fan. Also war es fast zwangsläufig, dass er sich mit der Geschichte seines Vereins beschäftigte. Dabei fiel ihm auf, dass in einigen alten Festschriften steht, der VfL spiele bereits seit 1911 an der Castroper Straße. Dem ging Wahlig nach und rekonstruierte anhand von Quellen des Stadtarchivs die Entstehungsgeschichte des Stadions. Als er das Datum schließlich  bestätigen konnte, ging er auf den VfL zu. Gemeinsam mit seinem Freund David Nienhaus und dem damaligen VfL-Pressesprecher Christian Schönhals machte er sich an die Arbeit, ein Buch über die Geschichte des Stadions zu schreiben.

Ostkurve war lange Zeit eine Scheune

Henry Wahlig hat sich mit der Heimat des VfL Bochum beschäftigt. (Foto: Verlag)

Henry Wahlig hat sich mit der Heimat des VfL Bochum beschäftigt. (Foto: Verlag)

Es war das Jahr 1911 als der Bauer Heinrich Dieckmann ein Stück seines Landes an den SuS Bochum verpachtete. Auf diesem Land konnte der Verein seinen lang ersehnten Sportplatz errichten und damit den Grundstein für das heutige rewirpowerSTADION legen. Am 08. Oktober 1911 erlebte die neue Spielstätte ihre erste Partie. Vor 500 Zuschauern trennte sich der SuS Bochum torreich mit 4:4 vom VfB Hamm.

In den 1920er Jahren wurde der Sportplatz zu einem der modernsten Stadien Westdeutschlands ausgebaut, in dem jedoch mehr Leichtathletik als Fußball ausgetragen wurde. Zu einer vollständigen Erneuerung des Stadions inklusive dem Bau überdachter Tribünen kam es in den 1950er Jahren. Bei dieser Umbaumaßnahme verschwand das letzte Überbleibsel von Bauer Dieckmanns Hof: “Seine Scheune stand dort, wo sich jetzt die Ostkurve befindet”, weiß der 37-jährige VfL-Fan zu berichten.

Mit dem Aufstieg in die Bundesliga 1971 wurde die Frage nach einem neuen Stadion plötzlich akut. “Bauen sie mir ein Stadion, dann baue ich Ihnen eine Mannschaft”, lautet der inzwischen legendäre Satz, den der damalige Präsident Ottokar Wüst zum damaligen Bochumer Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck gesagt haben soll. Die Politik sah ebenfalls den Bedarf einer neuen Spielstätte, favorisierte aber den Neubau eines Stadions an der Alleestraße. Doch Ottokar Wüst blieb der Stadt gegenüber hartnäckig: “Der VfL kommt von der Castroper Straße und muss auch dort bleiben.

Ottokar Wüst wird zum Vater des Ruhrstadions

Ottokar Wüst setzte sich schließlich durch: nachdem bereits 1972 die neuen Flutlichtmasten errichtet worden waren, wurde ab 1976 das Ruhrstadion von Grund auf erneuert und 1979 offiziell eingeweiht. Acht Jahre nach dem ersten Aufstieg in die Belletage des deutschen Fußballs durfte der VfL endlich in einem erstklassigen Stadion spielen.

Luftaufnahme des Stadions an der Castroper Straße aus dem Jahre 1961.

Luftaufnahme des Stadions an der Castroper Straße aus dem Jahre 1961.

Mit dieser Spielstätte an der Castroper Straße verfügt der VfL Bochum heute übrigens über eines der ganz wenigen Stadien, das seit numehr 104 Jahren immer noch mitten in der Stadt liegt. Fast alle anderen Vereine sind mit ihren Arenen in den letzten Jahrzehnten nach draußen auf die grüne Wiese gezogen, weit weg von ihren eigentlichen Ursprüngen. Der VfL ist aber immer noch mittendrin – genau dort, wo er herkommt. “Das halte ich für eine sehr schöne Besonderheit, gerade weil sie dem allgemeinen Trend des Fußball-Business völlig widerspricht,” beschreibt Autor Henry Wahlig die faszinierende Lage des Stadions.

Um das zu unterstreichen, stellt Wahlig im Buch unterschiedliche Menschen vor, die alle nur ein paar Meter vom Stadion entfernt wohnen oder arbeiten. Darunter sind Wächter aus dem Gefängnis, Menschen aus der Synagoge oder der Inhaber einer Bäckerei. Sie alle erzählen wunderbare Geschichten über ihre Verbindung zum VfL und ihrem Stadion vor der Haustür.

Der große Bruder als Wegbereiter

Henry Wahlig ist gar kein echter Bochumer, sondern in Münster aufgewachsen und glaubte dort allen Ernstes lange Zeit, der einzige VfL-Fan in der Stadt zu sein. “Es ist schon eine große Besonderheit, dort ausgerechnet Fan des VfL Bochum zu werden. Meine Eltern haben sich eigentlich überhaupt nicht für Fußball interessiert und mein großer Bruder ist bis heute – ich muss es gestehen – Fan des FC Bayern.”

Sein Bruder war es auch, der den 7-jährigen Henry Ende 1987 das erste Mal mit zum Spiel nach Bochum nahm, wo die Bayern den VfL mit 2:0 schlagen konnten. “Mein Bruder glaubte wohl, dass ich daraufhin auch Bayern-Fan werde, aber mich haben der kämpfende VfL und das tolle Stadion viel mehr fasziniert”, beschreibt Wahlig das völlig in die Hose gegangene Vorhaben seines großen Bruders.

Das Ruhrstadion ist das bleibende Vermächtnis seiner Amtszeit: Ottokar Wüst.

Das Ruhrstadion ist das bleibende Vermächtnis seiner Amtszeit: Ottokar Wüst.

Auf 175 Seiten bringt Henry Wahlig die bewegte Geschichte des Stadions an der Castroper Straße auf Papier und lässt dabei zahlreiche kultige VfLer zu Wort kommen – Spieler, Trainer, Funktionäre und nicht zuletzt auch Fans. Er erinnert an die Stadionsprecher – von Erwin Steden über Frank Papke bis zu Michael Wurst und Ansgar Borgmann. In einfühlsamen Porträts setzt er den Machern des VfL ein Denkmal: vom heute beinahe völlig unbekannten Constans Jersch über den Vater des Ruhrstadions Ottokar Wüst bis hin zu Patriarch Werner Altegoer.

Ohne diese Männer hätten niemals die vielen unvergesslichen Spiele stattgefunden, die wir als Fans an der Castroper Straße erlebt haben. Die Sternstunden im UEFA-Cup, die tristen Zeiten in der 2. Liga und der skurrile Moment, als der VfL zum ersten Mal abgestiegen war, Dariusz Wosz, Uwe Wegmann, Holger Aden und Co. jedoch auf Händen getragen wurden.

Eine Abend, den man nie vergessen wird

Das Jahrhundertspiel der ersten UEFA-Pokal-Runde gegen Trabzonspor im September 1997 ist Wahlig am stärksten in Erinnerung geblieben. “Ich bin damals als 17-Jähriger allein mit dem Zug von Münster nach Bochum gefahren, das war für mich damals noch fast wie eine Weltreise. Die Stimmung im Stadion war einfach bombastisch und der Spielverlauf tat sein Übriges. Ich werde nie vergessen, wie ich die gesamte letzte Viertelstunde von meinem Platz auf der Südtribüne alleine gegen die ganze Westkurve mit den Trabzon-Fans angeschrien habe, damit ja kein viertes Tor mehr fällt.”

Diesen Abend werden wir nie vergessen: die UEFA-Cup-Premiere im Ruhrstadion wurde zum Fußballfest.

Diesen Abend werden wir nie vergessen: die UEFA-Cup-Premiere im Ruhrstadion wurde zum Fußballfest.

VfL-Fan Henry Wahlig vergießt auf den liebevoll illustrierten Buchseiten viel blau-weißes Herzblut und lässt uns melancholische Momente erleben, die Gänsehaut erzeugen und Erinnerungen hervorrufen. Reich bebildert mit schwarz-weiß Fotos von anno dazumal bis zu Aufnahmen aus neuester Zeit ist “Anne Castroper” eine Art Familienalbum.

Und wann glaubt Henry Wahlig wird an der Castroper Straße 145 wieder Bundesligafußball gespielt? Ein breites Grinsen steht ihm nun im Gesicht: “Bis vor einigen Wochen hätte ich gesagt: Frühestens in drei bis fünf Jahren. Jetzt sage ich: Warten wir doch einfach ab…”

Henry Wahlig: “Anne Castroper” – Ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum, 175 Seiten, zahlreiche Fotos, Verlag Die Werkstatt

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